Das erfolgreiche Kunstfestival aus Singen: Interview mit Axel Nieburg und Jörg Lillich

Axel Nieburg, HEGAU-Vorstand zur ARTE ROMEIAS: „Das war Erleben pur!“ (Teil 1)

Projekte & Aktivitäten · 04.07.2018 · Von Jeremias Heppler (Baugenossenschaft HEGAU eG)

Über vier Tage strömten im Juli 2017 tausende Besucher in die temporären Galerien der ARTE ROMEIAS in den ehemaligen Arbeiterwohnungen der Romeiasstraße in Singen und erlebten ein einzigartiges Kunstfestival. HEGAU-Vorstand Axel Nieburg und Jörg Lillich, künstlerischer Leiter des Projekts, sprechen offen über ein wildes, aber erfüllendes Halbjahr der Ideen, der ausufernden Diskussionen und des kreativen Chaos.

Axel Nieburg, HEGAU-Vorstand zur ARTE ROMEIAS: „Das war Erleben pur!“ (Teil 1)
Ein Kunst-Projekt auf der ARTE ROMEIAS.

Herr Nieburg, was war die erste kreative Zündung, die die Idee eines solchen Projektes in Gang setzte?
Axel Nieburg: Das war die Kundenzeitung unserer Kollegen der Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern, die genau so ein Projekt gemacht haben. Normalerweise bauen wir auf grüner Wiese, aber ich wusste, dass es die leerstehenden Häuser in der Romeiasstraße gibt und damit auch die Möglichkeit, so etwas einmal anzugehen. Dann ist die Idee gewachsen.

Im Januar 2017 habe ich dann mit den Kollegen in der Schweiz einen Termin gemacht, also mit dem Geschäftsleiter und seinen – wie ich das genannt habe – ‚krausen Köpfen‘, die das Projekt ‚Zwischenrich‘ dort umgesetzt haben. Auf dem Rückweg war ich sehr angefixt, obwohl unklar war, ob so etwas bei uns überhaupt funktionieren könnte. Wir haben hin und her überlegt und irgendwann haben wir gesagt: ‚Wir machen es einfach‘.

Was waren dann die nächsten Schritte?
Axel Nieburg: Zunächst haben wir uns im eigenen Haus umgeschaut und festgestellt, dass wir diese Art der ‚krausen Köpfe‘ wie in Luzern nicht haben. Für mich ist ein ‚krauser Kopf‘ jemand, der nicht nur Mainstream-Gedanken hat. Jemand, bei dem noch ein bisschen mehr Platz im Kopf da ist.

Dann haben wir erstmal hier mit Künstlern gesprochen, die wir kannten, um eine Vorstellung zu bekommen, wer überhaupt Interesse hat. In der Summe muss ich sagen – und wir machen ja viele unterschiedliche Projekte, die neu und erstmalig sind – haben wir uns noch nie so viele ‚Nein‘ und ‚Geht Nicht‘ abgeholt, wie bei der ARTE ROMEIAS. Und dann habe ich Kontakt mit dem Fachbereich Architektur der HTWG Konstanz und mit Literatur-Kunst-Medien der Universität Konstanz aufgenommen. Da habe ich mich dann mit Professor Karin Leonhard getroffen und Herr Lillich war an diesem Tag auch zufälligerweise da.

Jörg Lillich: Ich fand das super, als Idee, aber ehrlich gesagt hatte ich durchgehend ein bisschen Angst. Kriegen wir genug Leute? Sind die Leute ambitioniert genug? Diese Art von Kulturevents werden immer von allen Seiten unterschätzt, weil keiner sieht, was für ein organisatorischer Aufwand dahinter steckt. Was haben wir alles angedacht und wieder fallen gelassen. Aber es war meist gut, dass wir darüber nachgedacht haben. Das ist kräftezehrend, aber oft lohnt es sich. Und ich finde, in diesem Fall hat es sich sehr gelohnt.

Axel Nieburg: Ich bin dann nach Hause gefahren und hab schon gedacht, nachdem ich seine Äußerungen gehört und seine ganze Art wahrgenommen hatte, das könnte doch einer für uns für den künstlerischen Projektteil sein. Und wenige Tage später hat sich Frau Leonhard bei mir gemeldet und mich gefragt, ob nicht Herr Lillich unser ‚krauser Kopf‘ sein könnte – sie hatte also meinen Begriff adaptiert.

Axel Nieburg, HEGAU-Vorstand zur ARTE ROMEIAS: „Das war Erleben pur!“ (Teil 1)
Maßgeblich für den Erfolg der ARTE ROMEIAS verantwortlich: Jörg Lillich, HEGAU-Vorstand Axel Nieburg, Jeremias Heppeler (v.l.n.r.)

In einer Stadt wie Singen – die als Arbeiterstadt gilt – ist es sehr schwierig abzuschätzen, wie viele Leute auf eine solche Idee aufspringen?
Axel Nieburg: Ja, das saß uns auch die ganze Zeit im Nacken. Zuerst haben wir eine Ausschreibung formuliert, weil uns klar war, dass wir das Projekt öffentlich machen müssen. Trotzdem waren die Rückläufe zu Beginn eher mau, sodass wir uns gedacht haben, dass wir notfalls eben nur ein Haus machen.

Jörg Lillich: Da war ich mal der positive Faktor, weil ich gesagt habe: ‚Keine Sorge, das kommt schon noch: Die Künstler sind alles solche Last-Minute-Leute.‘ Und es war dann auch so!

Axel Nieburg: Wir mussten uns parallel dazu auch schon intern organisieren, weil es ja mehr zu regeln gab, als nur den künstlerischen Teil. Wir haben dann aus verschiedenen Unternehmensbereichen und Leuten, die Lust auf das Projekt hatten, die Lenkungsgruppe zusammengestellt – in Unwissenheit darüber, wie man so etwas überhaupt angeht. Das ist ja nicht unsere Kompetenz – schon gar nicht unsere Kernkompetenz.

Jörg Lillich: Diese Lenkungsgruppe mit den wöchentlichen Sitzungen hat mich total beeindruckt, weil sie da schon an so viele Sachen gedacht hatte, an die man als Normalbesucher gar nicht denkt. Diese ganze Ringsum-Organisation! Ausschankgenehmigung, Security, Bühne, Sanitäter, Fluchtwege, Klowagen...

Dabei kann es sicher ein Vorteil sein, wenn das Organisationsteam in zwei so andersartigen Sphären verwurzelt ist?
Jörg Lillich: Total, aber dabei entstehen auch zwei total unterschiedliche Universen. Manchmal habe ich mich gefühlt, wie der Dolmetscher zwischen zwei Sprachen, nämlich der künstlerischen und der organisatorischen. Vielen Künstlern war gar nicht klar, was es für einen riesigen organisatorischen Aufwand gibt, und an was man da alles denken muss.

Axel Nieburg: Als es etwa zu der Schlüsselübergabe mit den Künstlern kam, da merkten wir, dass die irgendwie ganz anders waren, als die Leute, mit denen wir sonst Verträge machen. Bis dahin dachten wir, dass wir alle in einer Welt leben und mehr und mehr kam bei uns auch das Gefühl, dass es irgendwie doch mehr als eine Welt gibt. (lacht)

Axel Nieburg, HEGAU-Vorstand zur ARTE ROMEIAS: „Das war Erleben pur!“ (Teil 1)
Interessierte Besucher auf der ARTE ROMEIAS.

Wie lief die Vorbereitung der Künstler in den Häusern?
Jörg Lillich: Wir hatten riesiges Glück, dass wir alle Künstler unterbekommen haben: Die Leute wurden recht pragmatisch verteilt, was sich teilweise als relativ reibend befruchtend herausgestellt hat. Aber gerade dieses Nicht-Kuratieren gefällt mir im Nachhinein sehr gut, weil es widerspiegelt, was in den Wohnungen in den letzten 80 Jahren passiert ist. Wohnen geschieht ja auch nicht so, dass man sich die perfekten Nachbarn aussucht. Sondern: Der eine zieht aus, der eine zieht ein, man lebt, man stirbt, kriegt Kinder. Das entwickelt sich so.

Mit den Wohnungen mussten wir, glaube ich, aber alle erst einmal warm werden. Das waren eben Abrisswohnungen. Wir machen in der ersten Woche das Wasser wieder an und zack, kommt es an drei Stellen wieder aus der Wand. Dann wird das Wasser abgestellt, dass uns die Häuser nicht wegschwimmen. Aber Künstler brauchen eben auch Wasser zum Pinsel auswaschen. Da gab‘s viel Aufregung, aber eben auch ganz kreative Lösungen. Also ein Künstlerduo hatte sich einfach die Badewanne mit Wasser vollgemacht und mit hoch geschlepptem Wasser gefüllt. Und das Wasserreservoir wurde dann sogar auch noch ausgestellt.

Nach der Arbeit folgen die Tage des Kunstfestivals. Im nächsten Teil berichten Axel Nieburg und Jörg Lillich, wie sie den Start empfunden haben, was das Publikum so besonders gemacht hat und was ihr persönlich schönster Moment war.

Teil 2: Die Tage des Kunstfestivals

Viele Eindrücke und Emotionen bestimmten die vier Tage des Kunstfestivals. Im Teil 2 berichten Axel Nieburg und Jörg Lillich von Ihrem Erleben und schönsten Momenten: 

www.wohnungsbaugenossenschaften.de/blog/arte-romeias-erleben-pur-teil2

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Weitere Exklusiv-Informationen: von der Langzeitwirkung des Kunstfestivals über die Zusammenarbeit mit der Stadt bis hin zu den Vertragsstrukturen mit den Künstlern:

Das hat Axel Nieburg noch zu sagen

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